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Verkehrs- und Einkaufsstadt – 
Arbeiten am Image

„Eigentlich müsste man am Bahnhof anfangen, oder irgendwo zwischen Bahnhof und altem Dorfzentrum. Um deutlich zu machen, wie stark […] die Stadt, durch den Zufall, dass dort der Verkehrsknotenpunkt entstanden ist, sich völlig verschoben hat. […]“ - Interview Frieder Tramer

Wohin mit dem Verkehr? Neue Regelungen für Schiene, Straße und die Fußgänger

 Eine Straßenbahn, die durch Singen fährt - Flugzeuge und
Raketen, die auf dem Hohentwiel landen: Auf Phantasie-postkarten der Jahrhundertwende werden die „Verkehrsträume“
der jungen Stadt Wirklichkeit. In der Realität hatte die Stadtverwaltung alle Hände voll zu tun, damit die Verkehrspolitik mit dem rasanten Wachstum Schritt halten konnte. Stadtauswärts an der Schaffhauser Straße wurde für den Autoverkehr eine neue Betonbrücke gebaut - die heute berühmte „Billionenbrücke“. Auch die Fertigstellung des Güterbahnhofs im August 1927 mit geräumigen Hallen
und einer weiten Gleisanlage zeigte, dass Singen sich als
bedeutende Grenzstadt für den internationalen Warenverkehr etabliert hatte und in die Anbindung an das internationale Schienennetz investierte. Durch diese Anlage rückte Singen im Vergleich mit anderen badischen Städten vom 24. Platz im Jahr 1900 auf den 6. Platz im Jahr 1927 vor.
Auch die Summe der versandten und empfangenen Güter nahm im Vergleich zu 1900 um das Fünffache zu. „Singen blüht als Umschlagplatz immer mehr auf“ – 1923 waren bereits 15 internationale Speditionsunternehmen in Singen ansässig, unter ihnen C. Gruner Nachfahren – Internationale Spedition oder die Internationale Transport Buxtorf & Co. A.G. Basel, Filiale Singen.
Neben dem Güterverkehr spielte auch die Bahnanbindung eine wesentliche Rolle für die Stadtentwicklung, da zahlreiche Arbeiter aus den umliegenden Gemeinden täglich
nach Singen einpendelten. In den 1920er Jahren wurde daher der Bahnhofsvorplatz neugestaltet, hierfür musste der Biergarten der „Alten Post“ um die Hälfte verkleinert und einige Vorgärten entlang der Bahnhofstraße rückgebaut werden. Ab 1928 verkehrte vom Bahnhofsvorplatz ein regionales Postbussystem, das vor allem die Arbeitspendler in die umliegenden Gemeinden ohne Bahnanschluss beförderte. Eine eigene Stadtlinie mit gelb-blauen Bussen gab es seit 1962 mit zunächst zwei Ringlinien: Nordring mit Krankenhaus und Waldfriedhof, Südring durch die Südstadt.
2021 wurde der Bahnhofsplatz mit dem Zentralen Omnibusbahnhof nahezu barrierefrei neugestaltet und bietet vor allem den Fußgängern eine verkehrssichere und bequeme
Anbindung an die City mit ihren Einkaufsmöglichkeiten.
 

Ein Plan muss her – Hauptverkehrsadern und verkehrsberuhigte Zonen

 Bereits während der nationalsozialistischen Diktatur wurde an einem Verkehrsplan für die Stadt gearbeitet. Die Leo-Schlageter-Straße sowie die Hauptstraße bildeten hierbei die Haupt-verkehrsadern. Zu Beginn der 1970er Jahre beauftragte man den renommierten Verkehrsplaner Dr. Leibbrand mit der Erstellung eines Gutachtens für einen Generalverkehrsplan.
Als kritische Punkte im Straßenverkehr hielt er darin fest: Den Durchgangsverkehr mitten durch die Stadt und eine Verkehrssperre durch den großen Abstand zwischen Rielasinger- und Güterstraße. Leibbrand empfahl als Lösung eine Abschirmung des Stadtkerns durch Tangenten in Form eines vierspurigen Ausbaus der Alemannenstraße und einer Weiterführung der Georg-Fischer-Straße bis zum Münchried.
 

Daher wurde unter dem damaligen Oberbürgermeister Friedhelm Möhrle ein innerer Ring mit
Parkmöglichkeiten zur verkehrlichen Entlastung der Innenstadt geplant, der aus Hauptstraße, Freiheitstraße, Kreuzensteinstraße und Bahnhofstraße bestand.

Als neuralgische Punkte im Verkehrsnetz wurden die Kreuzungspunkte des rasterförmigen Straßennetzes identifiziert, an denen der Verkehrsfluss nur noch über zahlreiche Ampelanlagen geregelt werden konnte. Die Dominanz des motorisierten Verkehrs machte ein „ungehindertes
Flanieren“ in der Innenstadt unmöglich. Für die zukünftige Attraktivität der City war eine Verkehrsentflechtung und Verkehrsberuhigung durch Einrichtung von Fußgängerzonen daher unabdingbar. Diese Zonen sollten neben der ökonomischen auch eine gesellschaftliche Funktion
haben, da sie Platz für soziale Kontakte und kulturelle Aktivitäten boten.
Unter Stadtbaudirektor Rüdiger Neef begann ab 1982 ein Umdenken in der Stadtbauplanung – weg von der Fokussierung auf die „autogerechte Stadt“ hin zu einer Stadt, in der sich auch Fußgänger sicher bewegen und wohlfühlen können. Im Juni 1984 wurde in der Hegau-/Höristraße eine der ersten „verkehrsberuhigten Zonen“ in Deutschland eingeweiht. Ihr folgte bereits am 14. September die Fußgängerzone in der August-Ruf-Straße. Trotz dieser Maßnahmen empfinden viele Singener und Singenerinnen laut der Umfrage des Stadtarchivs auch heute noch ihre Stadt als „verkehrsbelastet“ und den Verkehr als „chaotisch“.

Von Stuttgart nach Schaffhausen über Singen – Anbindung an die Autobahn

Bereits vor dem Zweiten Weltkrieg bestanden Planungen für eine Autobahn zwischen Stuttgart und der Schweizer Grenze zur Erschließung des Bodenseeraums für den Fernverkehr.
Eine Verkehrsuntersuchung Anfang der 1960er Jahre legte als verkehrswirtschaftlich sinnvollste Strecke die Ostlinie über Herrenberg fest, die auch eine Anbindung der Anschlussstelle Singen vorsah. 1964 beschloss dann der Landtag von Baden-Württemberg, die Stadt Singen durch den Bau einer Autobahn über Böblingen, Horb und Engen mit der Landeshauptstadt Stuttgart zu verbinden. Durch
die Fertigstellung der Bundesautobahn Stuttgart – Westlicher Bodensee (A81) wurde Singen 1978 zum Drehkreuz des Straßenverkehrs im Transitverkehr über die Alpen. Insgesamt hatte die neue Autobahn rund 1 Mrd. DM gekostet.

Einzelhandel, Warenhäuser und Co. - Die Einkaufsstadt
Singen

„Östlich an die Altstadt schließt sich die Neustadt an. Scheffel-
und Ekkehardstraße als Hauptverkehrsadern tragen durchaus neuzeitliches Gepräge: Schaufenster an Schaufenster, Tag- und Nachtbeleuchtung“. - Albert Funk

In Singen kann man gutes Geld verdienen – das liegt nicht zuletzt an der Ansiedlung der drei großen Industriebetriebe Alusingen, GF und Maggi um die Jahrhundertwende. Die junge Stadt zog daher schon früh Arbeitskräfte aus dem Um- und Ausland an, die dort natürlich auch einkaufen wollten. Daher entwickelte sich die Stadt schnell zum Einkaufszentrum im gesamten Hegau.

Die drei Haupt-Einkaufsstraßen machten dabei im Zuge der Stadterhebung bis ins das Jahr 1950 aus städtebaulicher Sicht ganz unterschiedliche Entwicklungen durch: während die Scheffelstraße pro Jahr im Schnitt 0,9 % an Gebäudesubstanz zulegte, wuchs die August-Ruf-Straße um 3,6 % und die Ekkehardstraße sogar um 7,7 %. Bis 1972 hatte sich dieses Verhältnis jedoch umgekehrt: Während die Ekkehardstraße nur noch 0,8 % wuchs und die August-Ruf-Straße sogar nur noch 0,3 %, „boomte“ die Scheffelstraße um stolze 2,0 %! Als älteste Straße der Singener Innenstadt wandelte sie erfolgreich ihr Erscheinungsbild von zwei- bis dreigeschossigen Bauten mit Vorgärten zur „Einkaufsstraße mit Flair“. Hier stellte das Einzelhandelsgutachten aus den 1970er Jahren die entscheidenden Weichen: Es hielt fest, dass „der Innenstadtbereich sowohl von der Nutzungsstruktur, der Verkehrsführung als auch von der städtebaulichen Gestaltung keine starke Ausstrahlung [besitzt]“. Oder, wie es einige Teilnehmer an der Umfrage des Stadtarchivs zur Identität formulierten: „ohne Flair“, „nicht einladend“, „schnörkellos“. Die bisherige Fokussierung auf die städtische Grundfunktion Arbeit sollte daher zu Gunsten einer Öffnung der städtischen Bauleitplanung für weitere Grundfunktionen wie Freizeit, Kultur und eben auch das Einkaufen
aufgebrochen werden. Hierzu trug vor allem die Sanierung der Hegaustraße mit einem ansprechenden Bodenbelag und begrünten Sitzflächen bei.

Das CANO – Shoppen in einem Designmix aus „vulkanischem Erbe der Region und Industrietradition“

„Das Cano und der Bahnhofsplatz, das hat sicherlich ein neues Bild reingebracht in die Stadt. Auch die ganze Fußgängerzone,
wenn man betrachtet wie die in den 70er/80er Jahren noch war und jetzt die riesen Einkaufsstraßen, dann hat sich das schon in eine Stadt entwickelt – zu einer Einkaufsstadt.“
- Interview Stavros Tachtalis

Der Bau des CANO Shoppingcenters zieht seit 2020 überregional Kunden in die Hohentwielstadt – auch aus der benachbarten Schweiz. Die Entscheidung für die Ansiedlung fiel im Gemeinderat nicht einstimmig und da das Projekt in der Bürgerschaft heftig umstritten war, entschloss sich der Gemeinderat 2016 für die Durchführung eines Bürgerentscheids. 

Im Vorfeld formierten sich zwei Bürgerinitiativen, die um die Stimmen der Singener und Singenerinnen warben: Die Befürworter wählten das Motto „Lebendiges Singen“, die Gegner organisierten mit dem Slogan „Für Singen“ ihren Widerstand – besonders aus den Reihen der Singener Einzelhändler, die ein Geschäftssterben in der Scheffel- und Hegaustraße befürchteten. Beim Bürgerentscheid am 17. Juli 2016 stimmten jedoch 21,6 % der Wahlberechtigten für das neue Einkaufszentrum am Bahnhof. Dieses konnte am 10. Dezember 2020 unter dem Namen „CANO“ eröffnen, der sich übrigens aus dem lateinischen „vulcano“ ableitet. In den Interviews des Stadtarchivs zur Singener Identität äußerten sich die Befragten überwiegend positiv über die „Einkaufsstadt“: „Ja, es ist eine Industriestadt, aber eine schöne Stadt. Klar bietet Radolfzell, Konstanz vom Umfeld touristisch was Schönes. Eine Altstadt fehlt halt in Singen. Andererseits sind die aber froh, wenn sie nach Singen können zum Einkaufen.“    - Interview Thomas und Walter Gaisser