Eine Stadt „platzt aus allen Nähten“ – Wohnungsbau für die Bevölkerung
Das rasante Wachstum der Stadt stellte die Stadtplanung vor neue Herausforderungen: In kürzester Zeit musste Wohnraum für zahlreiche Menschen zur Verfügung gestellt werden, die kontinuierlich nach Singen strömten und dort ihren Lebensmittelpunkt fanden. Neben der Stadt selbst traten hier auch Baugenossenschaften, die Aluminium-Walzwerke oder der Eisenbahnbauverein als Investoren auf dem Wohnungsmarkt auf. 1925 wurde ein Spitzenwert im reichsweiten Vergleich bei der Bautätigkeit erzielt: 121 Wohnung wurden bezugsfertig, dies entsprach 10,5 Wohnungen auf 1.000 Einwohner. Vergleichbare Mittelstädte kamen dagegen im Schnitt nur auf 3,4 Wohnungen je 1.000 Einwohner.
Eine populäre Strömung im Städtebau war um die Jahrhundertwende die englische „Gartenstadtbewegung“: Durch die Verbindung von Stadt und Land sollten gesündere Wohnverhältnisse für die Bewohner geschaffen werden. Für den Bau der Singener Gartenstadt konnte ein prominenter Vertreter der deutschen Gartenstadtbewegung gewonnen werden: Hans Kampffmeyer (1876-1932), auf dessen Vorschlag der Bau einer Kleinsiedlung am südlichen, unbebauten Rand des Stadtgebietes mit zweigeschossigen Bauten ab 1910 zurückgeht. Hier wurde Wohnraum für rund 700 Menschen in unmittelbarer Nähe der Großbetriebe Aluminium-Walzwerke, Georg Fischer und Maggi geschaffen.
Mit der Eröffnung der „Rose“ 1907 und der Bäckerei „Cafe Lusch“ 1925 sowie dem Bau der Kirche St. Josef 1928 erhielt der neue Stadtteil eine eigene Infrastruktur. Die Bezeichnung „Südstadt“ entwickelte sich seit 1930 mit dem Bau der Zeppelinschule für den Stadtteil südlich der Bahnlinie und verdrängte zunehmend die alte Benennung „Gartenstadt“.
Die Singener Gartenstadt unterschied sich von der deutschlandweiten Gartenstadtbewegung in einem entscheidenden Punkt: Die Initiative zum Bau ging von einer Baugenossenschaft aus, daher gehörten die Häuser auch nicht ihren Bewohnern wie in anderen Städten.
In den 1970er Jahren wurde die Gartenstadt saniert, heute beherrschen hier mehrgeschossige, symmetrisch ausgerichtete Wohnbauten das Stadtbild. Nur wenige „alte Gartenstädtler“ wohnen heute noch hier.
Bemerkenswert an der Gartenstadt war der hohe Anteil an Hausgärten, die der Selbstversorgung dienten. Da die Arbeiter zunächst nicht vom rasanten Wachstum der Stadt in Folge der Stadterhebung profitierten und daher wenig Geld für Essen ausgeben konnten, hatte fast jede Familie einen eigenen Garten, in dem sie Gemüse und Kartoffeln anpflanzte.
Meistens war dieser Garten nicht Eigentum der Familien, sondern Pachtland. Diese Kleingärten zogen sich über die zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch bestehenden Baulücken zum Teil bis in die Innenstadt hinein. Diese Baulücken wurden im Zuge der rasanten städtebaulichen Entwicklung Singens nach und nach geschlossen und die Kleingärten fielen damit größtenteils weg. Daher ergriff Stadtpfarrer August Ruf 1909 die Initiative zur Gründung einer Kleingartenkolonie auf genossenschaftlicher Basis für die Mitglieder des katholischen Arbeitervereins. 1910 wurde die Gemüsebaugenossenschaft Singen e.G.m.b.H. ins Leben gerufen, die ein 192 Ar großes Ackergelände zwischen Twielfeld und Plappert zur Verpachtung an ihre Mitglieder aufkaufte. 1977 wurde die Gemüsebaugenossenschaft in Gartengenossenschaft umbenannt. Heute gehört sie mit anderen Kleingartenvereinen wie den „Gartenfreunden Singen e.V.“ oder der „Kleingartengemeinschaft Langenrain“ zu den Verpächtern von Kleingärten im Stadtgebiet.