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Bauen nach Plan: erste Viertel entstehen und die Vorgärten in der Innenstadt verschwinden

Auf die bestehende Bausubstanz wurde bei der Planung wenig Rücksicht genommen: Hier galt es, die Erfordernisse der jungen Stadt an die Infrastruktur schnellstmöglich umzusetzen, um dem rasanten Wachstum angemessen begegnen zu können. Die 1906 erlassene Stadtbauordnung trug diese Grund-ausrichtung mit und erlaubte beispielsweise am Hohgarten „mehrgeschossige Bauten“ sowie eine dichtere Bebauung – eine erste Form „großstädtischer Visionen“.

Um die Jahrhundertwende versuchten die Stadtplaner, mit Baufluchten in der Stadt optisch vorgeformte Räume und Straßenfronten zur Auflockerung zu schaffen. Bürgermeister Paul Thorbecke skizzierte nur wenige Jahre nach der Stadterhebung den Stand der Stadtplanung und machte dabei erhebliche städtebauliche Defizite aus: „Die Entwicklung Singens seit dem Jahr 1895 mit ihrer, den Durchschnitt anderer Städte weit überragenden Bevölkerungszunahme, ist nicht ohne Einfluss auf das Stadtbild geblieben. Man kann nicht von einem Stadtorganismus sprechen, sondern nur von nebeneinander sich anreihenden Bauflächen, die wohl nach einem gewissen Schema angeordnet sind, bei denen aber die städtebaulichen Grundsätze zu gering beachtet wurden.“ 

1914 erließ die Stadt eine Bausperre für alle unbeplanten Gebiete, um eine Konzentrierung der Bautätigkeit in Singen zu erreichen. Mit diesem Instrument wurden gleichzeitig längerfristige Planungsziele formuliert: der Bau von Arbeiterwohnhäusern südlich der Bahnlinie entlang der Rielasinger Straße, Villenbauten zwischen Halden- und Widerholdstraße, Geschäftshäuser in der Innenstadt und gewerbliche Anlagen an der Radolfzeller Straße – die Trennung der Stadt in Nord- und Südstadt war damit bereits vorprogrammiert.

Singen als „grüne Gartenstadt“ um 1910. Blick in die August-Ruf-Straße. Das hohe Gebäude ist das „Central-Hotel Schweizerhof“.

Die Vorgärten mussten den Gehwegen und breiteren Straßen weichen. Hier die Ecke Ekkehardstraße/August-Ruf-Straße auf einer Postkarte vor dem Ersten Weltkrieg.

Während in der Innen- und Nordstadt nach einem rasterförmigen Baufluchtenplan gebaut wurde, war die Bautätigkeit in der Südstadt geprägt von der Orientierung an der bestehenden Verkehrsinfrastruktur – man baute zunächst entlang der Rielasinger Straße überwiegend in Siedlungsbauweise. Ein Teilnehmer des vom Stadtarchiv veranstalteten Workshops zur „Singener Identität“ beschreibt die Entstehung der Südstadt mit den Worten: „Die Straße war leer, dann wurde 1950 das erste Häuschen gebaut. Dann kam die Werkstatt von der Schreinerei Müller, der Korbbinder mit seiner kleinen Isolationsfabrik, dann eins nach dem anderen – und auf einmal war an der Straße Stück für Stück gebaut worden. Und auch was man heute als Autostraße bezeichnet, das war alles nur Feld! Deswegen ist das Imposante für mich die schnellwachsende Stadt!“In der Innenstadt mussten zunehmend die Vorgärten in der heutigen August-Ruf-Straße dem neuen Stadtgesicht weichen, um Platz für die geplante Baukonzentration zu machen. 1928 entschied die Stadt, dass im Innenstadtbereich bei der Fertigstellung von Häusern keine Vorgärten mehr angelegt werden mussten – der Wandel vom beschaulichen Dorf zur modernen Stadt war damit auch optisch vollzogen. 

Die Fittingsiedlung in der Rielasingerstraße in den 1930er Jahren.

Die „Adolf-Hitler-Straße“ (heute August-Ruf-Straße) in den 1930er Jahren als Beispiel einer geplanten Bauflucht.