Bildungsreisende, Wanderurlauber und Festspielpilger
Ziel von Touristen war zunächst nicht Singen. 1877 lesen wir in der Werbebroschüre der Schwarzwaldbahn noch folgendes: „Der Marktflecken Singen (432 m., Guter Gasthof zur Krone) mit etwa 1500 Einwohnern, einem modernen Schloss des Grafen von Enzenberg und der Fabrik von Loes u. Trötschler mit sehenswerthen Maschinen bietet dem Touristen […] kein grosses Interesse dar, es sei denn, dass er Singen zum Stützpunkt für seine Ausflüge wählen würde.“ (Carl Wilhelm Schnars, Die Badische Schwarzwaldbahn, Heidelberg 1877, S. 146). Die Siedlung lag damals noch einige Minuten vom Bahnhof entfernt. Doch gerade die Möglichkeit, hier am Bahnhof eben jene „Stützpunkte“ für Ausflüge einzurichten, wurde von Investoren und Gastwirten erkannt. Hauptsächlich Brauereien kauften Parzellen auf den östlich des Dorfes gelegenen Ackerflächen, auf denen sich das Entstehen der neuen Stadt abzeichnete.
An den See und in die Berge…
„Fluß und See und Berg und Wald und zwischen drin eine regsame Stadt, das ist Singen am Hohentwiel.“ Diesen Satz schrieb der Singener Apotheker und Geschichtsforscher Albert Funk 1930 im Heft „Badische Heimat“. Er unterstrich damit seine Feststellung, die Stadt sei „keine Fabrikstadt im landläufigen Sinne“. Es wird deutlich, dass die Topographie ein idealer Standortfaktor für eine aufstrebende Kleinstadt bildete. Denn seit dem 19. Jahrhundert wurden Seen, Wälder und Berge vor allem von den Städtern stark romantisiert; Orte fern ab vom anstrengenden Großstadtleben. Die Sehnsucht nach einer vergangenen Zeit führte zu einer Begeisterung für Burgen und Ruinen. Das einfache Landleben war in den Augen des Bürgertums besonders volksnah. Im Hegau fanden Reisende all dies. Zudem war der Hegau – und seit dem Bau der Eisenbahn besonders Singen – Durchgangsstation für Reisende in die Alpen und den mediterranen Süden.
Die touristische Entdeckung der Hegau-Berge
Während um 1800 nur einzelne wohlhabende Touristen den Weg in den Hegau fanden, wurde der Hohentwiel in der Mitte des 19. Jahrhunderts zum vielbesuchten Nationaldenkmal. Vor allem Schriftsteller und Künstler suchten im Hegau Inspiration. Es erschienen erste Wanderführer und die örtlichen Gasthäuser verzeichneten besonders in den Sommermonaten steigende Übernachtungszahlen. Seit den 1860er Jahren reisten mit der Eisenbahn immer mehr Menschen v.a. der bürgerlichen Schichten um sich zu bilden oder zu erholen. Dass dabei einer der Beststeller jener Zeit, Joseph Victor von Scheffels Roman „Ekkehard“ seinen Hauptschauplatz auf dem Hohentwiel hatte, beförderte den Hegautourismus nochmals massiv. Findige Ideen wie Eselsritte auf den Hohentwiel führten zum ersten Singener Tourismusunternehmen. Die sogenannte Esel-AG brachte seit Anfang der 1890er Jahre Touristen auf den Hausberg. Die drei hierfür angekauften Esel trugen die Namen Max, Moritz und Judas. Erst als die württembergische Verwaltung die Hinterlassenschaften der Singener Esel auf dem Weg zur württembergischen Staatsdomäne beanstandete, wurden die Esel an den Pächter des Hohentwiel-Hotels Gottlieb Reiner verkauft. Reiner nutzte die Esel um die Milch vom Hofgut hinunter nach Singen zu bringen. Der tägliche Eseltross sorgte wohl für ein Spektakel in der Stadt, was dem Bürgermeister Dr. Edmund Kaufmann bald zu viel wurde. Er schrieb an Reiner, er möge bitte das Aufsehen unterbinden. Die Antwort viel frech aus: „Hab den Eseln ihr Schreiben vorgelesen im Stall, sie haben j-a gesagt“.
Die Aach - Dorfidylle und Stadtverschönerung
Neben dem Hohentwiel als Hausberg ist die Aach ein identitätsstiftendes Naturdenkmal und bildet als Naherholungsraum eine wahre Lebensader, die Singen durchzieht. Wie auch die Ortsteile Beuren, Hausen und Bohlingen entstand der Ort direkt an der Aach. Die historische Entwicklung und auch die frühe Industrialisierung Singens stehen in engem Zusammenhang mit der Nutzung der Wasserkraft. Die Lage des Dorfes am Fluss, der damals durch Seitenläufe und den Bleichebach als Gewerbekanal noch markanter war, wurde von Hegautouristen schon im 19. Jahrhundert als Idylle gepriesen. Die junge Stadt erkannte den repräsentativen Charakter des Gebietes um die Aachinsel. Die Bürger forderten Maßnahmen zur Stadtverschönerung. Sieben Jahre nach der Stadterhebung ließ man daher die „Kessler-Insel“ und die Holzlagerflächen abräumen und legte einen Stadtpark an. Südlich davon entstand die erste Singener Badeanstalt. Auch an der Stelle des heutigen Aachbades schwammen die Singener in der Aach. Beim Bau des Stadtgartens wurde der dortige Eisweiher zur Schlittschuhbahn ausgebaut, da die „höhere Gesellschaft“ den Damen diesen Wintersport ermöglichen wollte.
„Damals (1908) war in Singen auch schon eine Sportgemeinde. Wir gründeten einen Rodel- und Schlittschuhklub [...] Manche fröhlichen Winterfeste wurden da gefeiert. Am Hohentwiel wurde eine Rodelbahn gerichtet. [...] Auch das Schlittschuhlaufen wurde gefördert, besonders in den schneearmen Wintern; auch waren die Damen mehr für diesen eleganten Sport. Zuerst konnte man nur auf ein paar kleinen Eiswiehern oben an der Aach [...] Schlittschuh laufen. [...] Auch die Eisfeste waren großartig, besonders in den letzten Jahren vor dem Krieg, und wie bei den Rodelfesten das Hohentwielwirtshaus hielt bei den Eisfesten die „Sonne“ noch die Schar der Unentwegten bis über Mitternacht beisammen.“ - Dr. Karl Huck in seinen Lebenserinnerungen.
Auf dem Weg zur Kunstmetropole
Erst nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurden in Singen Kunst, Schauspiel und Musik zu Aufgabengebieten der Stadtverwaltung. 1946 wurde aus Bürgern ein Kulturrat gebildet, der im Auftrag der Stadt kulturelle Veranstaltungen organisieren sollte. Drei Jahre später wurde ein städtisches Kulturamt eingerichtet.
Bereits 1947 hatten der damalige Vorsitzende des Kulturrates und Alu-Volkswirt, Dr. Helmut Faihst, und OB Theopont Diez die einmalige Chance ergriffen und eine Kunstausstellung mit Bildern der bekannten Maler von der Höri initiiert. Die künstlerische Gesamtleitung lag von Beginn an bei Curth Georg Becker, der sein Netzwerk zu den bekanntesten Künstlern der Zeit nutzte. Diese „Singener Kunstausstellung“ bildete den Grundstein für die Jahresausstellungen (1947–1972 als „Singener Kunstausstellung“), für den Aufbau einer städtischen Kunstsammlung und letzten Endes für die Einrichtung eines eigenen Kunstmuseums im Jahr 1990. Vor allem Kunstwerke von Otto Dix und Curth Georg Becker tragen bis heute zum internationalen Ruf der Singener Sammlung bei. Die kontinuierliche Erweiterung der Sammlung, die Sonderschauen des Kunstvereins und der „Singener Maler“ werden nicht nur von der einheimischen Bevölkerung verfolgt.
Darüber hinaus sind drei jüngere Ereignisse für den Ausbau Singens zur Kunstmetropole besonders hervorzuheben. Die im Jahr 2000 anlässlich der Landesgartenschau gezeigte Schau „Hier Da Und Dort“ lockte internationale Künstler nach Singen, die ihre Kunst im öffentlichen Raum präsentierten. Zahlreiche Installationen prägen bis heute das Stadtbild. In den Jahren 2013 und 2019 wurden die beiden Museen MAC 1 und MAC 2 eröffnet. Das Stifterehepaar Maier präsentiert hier Ausstellungen die Kunst und Automobile auf einmalige Weise verbinden. 2014 konnte zudem mit dem Umbau und der Neukonzeption des städtischen Kunstmuseums der Ruf Singens als Kunststadt gefestigt werden.