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Vom Fitting zum Feuertopf

"Fitting“ – Ein Schlagwort, dass für einen weiteren Singener Großbetrieb und ein bedeutendes Stück Industriegeschichte steht. 1895 gründete der Schaffhauser Fabrikant Georg Fischer III neben der Maggi-Fabrik eine Zweigniederlassung seiner Eisengießerei, die in Schaffhausen bereits 1802 gegründet worden war. Ursprünglich wollte GF seine Zweigniederlassung in Rielasingen errichten, um die Wasserkraft der Aach zu nutzen, doch der Plan scheiterte an der Ablehnung des vorgesehenen Stauwehrs. Schließlich wurden zur Produktion von Rohrverbindungen im Tempergussverfahren 1895 im aufstrebenden Singen über 100 Arbeiter angestellt. 15 Jahre später waren es über 1.500. Damit war GF vor dem Ersten Weltkrieg lange Zeit der größte Arbeitgeber in Singen. 

Ende der 1920er Jahre erreichte die Mitarbeiterzahl mit ca. 3.000 ihren endgültigen Höhepunkt. Seit 1957 wurden in Singen auch Plastik-Fittinge aus PVC und PE hergestellt. Nachdem sich GF in den vergangenen Jahren vermehrt der Produktion von Leichtgussteilen v.a. für die Automobilindustrie verschrieben hatte, wurde das Singener Werk vom GF-Konzern losgelöst und von der Firma Fondium – die von ehemaligen Topmanagern von Georg Fischer gegründet worden war – übernommen. Seit Dezember 2018 produziert nicht mehr das Schaffhauser Unternehmen, sondern Fondium im Singener Werk. 

„Gespensterhaft hantieren die dunklen Gestalten der Gießereiarbeiter mit den Gießpfannen, in denen sich das geschmolzene Eisen befindet, umher. 
Der
 beobachtende Zuschauer hat das 
Gefühl,
 daß alle Augenblicke etwas passieren muss.“ 
      Bericht des Deutschen Metallarbeiter-Verbandes über die Produktion im Singener Fittingwerk 1904, S. 47 ff.
Formmacherei in der Fittingfabrik: schmutzige Fließbandarbeit um 1930.

+GF+ - Ein schmutziger Arbeitsplatz

Die „Fitting-Boys“ oder „GF-ler“ galten in Singen als „harte Kerle“. Teilweise schmutzig verließen sie die Fabrik und die harte Arbeit prägte bei vielen einen abgehärteten, muskelbepackten Körper. In den ersten Jahrzehnten gab es in der Formenmacherei und der Gießerei nur vereinzelt technische Anlagen. Zwar war die eigentliche Formenmacherei mechanisiert, doch die Vorbereitung der schweren Formkästen und deren Umlagerung erfolgte mit Muskelkraft. Während hier der Staub die Arbeiter (und auch Arbeiterinnen!) belastete, waren es in der Gießerei die Hitze und giftige Dämpfe, die für widrige Arbeitsbedingungen sorgten. Bereits 1904 beanstandete der Deutsche Metallarbeiter-Verband bei einer Betriebsbegehung, dass „die Gießereiräume mit Dünsten aller Art – einem dichten Nebel gleich angefüllt sind.“ 

In den folgenden Jahren wurden Ventilatoren und bessere Abzugshauben, ebenso Hebeeinrichtungen installiert. Doch die Fitting blieb ein gefährlicher und schmutziger Arbeitsplatz. Immer wieder kam es zu Unfällen. Weniger anstrengende Arbeitsplätze für ältere oder körperlich eingeschränkte Mitarbeiter boten lediglich die Sortierung, die Produktkontrolle und die Spedition.

Blick von der Fittingsiedlung neben dem Werksgelände auf das Arbeiterwohnheim, das umgangssprachlich als „Bullenkloster“ bezeichnet wird.

Zwischen "Bullenkloster" und Siedlungshaus

 „Da gegenwärtig in Singen grosser Mangel an Wohnungen für Arbeiterfamilien herrscht, ist die Erstellung von passenden Wohnungen ein dringendes Bedürfnis geworden und beabsichtigt die Baugesellschaft „Breite“ […] im Verlaufe der Jahre das uns gehörige Bauterrain längs der Bahnlinie Singen-Ezwylen als sog. Arbeiter-Colonie zu überbau-en.“– Schreiben der Georg-Fischer-AG an das Bürgermeisteramt vom 20. Oktober 1906 (Bauakte Friedrich-Hecker-Str. 1) Obwohl ein erheblicher Anteil der Arbeiterinnen und Arbeiter aus den Umlandgemeinden nach Singen pendelte, war es den Unternehmen wichtig, werksnahen Wohnraum zu schaffen. Zugleich hatte das Unternehmen so Einfluss auf das soziale Umfeld und behielt die politische Betätigung im Blick. Neben dem heute noch markanten Gebäude des sog. „Bullenklosters“, das als „Logierhaus für ledige Arbeiter“ 1907 in Betrieb genommen wurde, entstanden Ein- und Mehrfamilienhäuser zwischen der heutigen Fittingstraße und der Etzwiler Bahnlinie. Später folgte die Arbeitersiedlung an der Rielasingerstraße.  

Werksfürsorge

In der Folge von hohem Krankenstand hatte man bereits wenige Jahre nach der Werksgründung die Schaffung einer Badeeinrichtung gefordert. Während man dieser Forderung nach einigen Jahren nachkam, verweigerte die Geschäftsführung die Genehmigung von Urlaubstagen und eine Arbeitnehmervertretung außer der Betriebsversammlung. Gewerkschafter wurden immer wieder wegen „sozialistischer Agitation“ entlassen.

Bauernsöhne, Zwangsarbeiter, Gastarbeiter

 Die harten Arbeitsbedingungen in der GF wurden ordentlich entlohnt. Da in der Fitting teilweise im Akkord gearbeitet wurde, bot sich hier besonders für junge Männer die Möglichkeit, gutes Geld zu machen. Neben wenigen ausländischen Arbeitskräften fanden in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts vorwiegend Kleinstlandwirte und Bauernsöhne aus dem Umland eine lukrative Beschäftigungsmöglichkeit. Bis 1914 entwickelte sich der Betrieb zur größten Fabrik im westlichen Bodenseeraum. Doch die Inflation von 1923 und die Weltwirtschaftskrise 1929 hatten die Entlassung von mehreren hundert Arbeitern zur Folge.Danach förderte die deutsche Rüstungspolitik die Auftrags- und Beschäftigungslage vor allem ab 1937. Das Singener Fittingwerk avancierte zu einem nationalsozialistischen Musterbetrieb, in dessen Werkshallen und Büroräumen Spruchbänder, Hakenkreuze und Hitlerbilder den Kampf an der „Arbeitsfront“ propagierten. Die örtliche NSDAP hatte sich in die Werksleitung eingemischt und die eigentliche Schweizer Geschäftsführung zunehmend verdrängt. Im Zuge der Kriegswirtschaft wurden wie auch in anderen Singener Betrieben zahlreiche Zwangsarbeiter unter widrigsten Bedingungen zur Arbeit herangezogen. Bereits 1942 arbeiteten bei der GF rund 600 Zwangsarbeiter.  

Nachkriegszeit und Wirtschaftswunder

Mit Kriegsende 1945 wurde die Gießerei für fast ein Jahr stillgelegt. Der Rohstoffmangel hatte die Wiederaufnahme des Betriebes immer wieder verzögert. Das Wirtschaftswunder zeigte sich vor allem auch in der gesteigerten Produktion von Automobilteilen. Die rund 1.500 Beschäftigten reichten bald nicht mehr aus und man begann 1957 mit der Anwerbung ausländischer Arbeitskräfte. In den späteren Jahrzehnten pendelte sich die Beschäftigtenzahl bei 1.000 bis 1.500 ein.


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